Holly, Zweibrückerwallach, geb. 1999


Holly hat aufgrund eines Sturzes in jungen Jahren Spinale Ataxie. Er hat zu wenig Gefühl in seiner Hinterhand. Im Trab macht es sich durch ein verzögertes Vorfußen der Hinterhand bemerkbar. Er geht daher nie taktrein und ist auch extrem vorderlastig. Ich habe ihn mit sehr starken Rückenschmerzen übernommen, als er vier Jahre alt war. Schon damals wurde er von der Schulmedizin als nicht reitbar deklariert und die Ärzte meinten: "der ist höchstens noch gut für Geradaus im Gelände... mehr können Sie da nicht machen". Da ich mein Herz verloren und leider viel zu wenig Wissen über Biomechanik beim Pferd hatte, bin ich diesem Rat gefolgt. Es wurde dadurch natürlich nicht besser und endete mit einem Klinikaufenthalt als Holly 11 war, in dem er offiziell als "austherapiert" eingestuft wurde.

Ich schaffte es nicht, Holly einfach so aufzugeben und fing an, alles zu verschlingen, was man über gymnastisches Arbeiten bei Pferden zu lesen bekam. So bin ich auf die akademische Reitkunst gestoßen und fand die Möglichkeiten, die die Arbeit an der Hand bietet sehr interessant. Ich fing an, Holly danach zu gymnastizieren und es brachte enorm viel. Die Biegearbeit im Stehen und Schritt, die langsame Koordination der Hinterbeine einmal als innen tragendes (Schulterherein) und dann als außen tragendes (Kruppeherein) gab ihm ein neues Körpergefühl und nahm ihm auch die Rückenschmerzen. Wir erarbeiteten uns alle Seitengänge im Schritt erst an der Hand und dann von oben. Die gemeinsame Arbeit machte Spaß und eröffnete uns eine ganz neue Welt. Sobald es jedoch an die nächsthöhere Gangart ging, waren Hollys Schwierigkeiten wieder offensichtlich. Er wirkte, wie in zwei Hälften gebrochen. Eine Vorhand, die sich mit jedem Trabschritt weiter in den Boden bohrte und eine Hinterhand, die verzögert nachschleppte. Kein Schwung, kein frisches Vorwärts.

Nun hatte ich mir ja in der Zwischenzeit schon ein bisschen Wissen über die Auswirkungen der natürlichen Schiefe beim Pferd angeeignet. Ich hatte ein Blick dafür, dass Holly auf die linke Schulter fällt und dass er es nicht schafft, im Trab den Brustkorb anzuheben. Nur, all das theoretische Wissen bringt einem nichts, wenn man die Lösung dafür nicht in die Praxis umsetzen kann. Wie schaffe ich es, Holly von seiner extremen Vorderlastigkeit weg zu bringen? Wie kann ich den Brustkorb anheben, wie kann ich die schleppende Hinterhand zum Untertreten veranlassen, wie kriege ich Schwung in das Pferd? Wie bringe ich ihn überhaupt mal in Trab?

Durch Zufall bin ich auf die Seite von Arlette gestoßen und war sofort von der Kombination klassische Handarbeit und gymnastizierendes Longieren begeistert. Das war genau die Kombination, die mir im Kopf vorschwebte. Ich konnte mein Glück nicht fassen, als ich gesehen habe, dass wir sogar noch in Arlettes Einzugsgebiet wohnten. Kurzerhand schrieb ich Arlette unsere Geschichte und bat um Hilfe.

Wir arbeiten nun seit drei Monaten zusammen. In den drei Monaten hat Holly sich zu einem runden, wunderschönen Pferd gemausert. Er trabt an der Longe gut vorwärts und ich muss ihn eher bremsen, als treiben. Seine Verzögerung in der Hinterhand ist fast nicht mehr zu sehen. Der Trapezmuskel hat sich aufgebaut, der Hals hat eine schöne Oberlinie bekommen. Sein Rücken fängt an zu schwingen. Das Schleifen der hinteren Zehen ist deutlich besser geworden. Aus dem faulen, apathischen Pferd ist ein frecher, aufgeweckter Kerl geworden, der nach der Longenstunde auch gerne nochmal einen Freudenbuckler hinlegt.

Das klingt wie ein Wunder und für mich ist es das auch. Bereits nach der zweiten Longenstunde stand Holly zum ersten Mal in seinem Leben ohne weiteres zutun geschlossen am Putzplatz. Nach der fünften Longenstunde stand ich da und hab vor Freude geweint, weil Holly erstmalig ansatzweise schwungvoll trabte. Ich bin mir durchaus bewusst, dass ein Pferd mit diesen körperlichen Schwierigkeiten nie die Leistung eines gesunden Pferdes erbringen kann. Aber wir haben ja auch ganz andere Ziele: Muskulatur aufbauen, die den Bewegungsapparat stützt und dem Pferd wieder Lebensfreude und eine Perspektive bietet. Er wird weiterhin gute und schlechte Zeiten haben, aber ich bin zuversichtlich, dass dank Arlettes Arbeit, die Guten immer mehr werden.

Nach neuer Hufbearbeitung und einer Zahnbehandlung steht als nächstes die Anpassung von Hollys Sattel auf dem Programm. Wenn wir auch das geschafft haben, dann wollen wir uns sogar wieder ans Reiten wagen. Ich bin sehr gespannt und freue mich auf diesen neuen Weg.

Neben all den erbrachten Leistungen bei Holly, habe ich Arlette als Persönlichkeit sehr schätzen gelernt. Sie geht mit einer angenehmen Ruhe an die Ausbildung der Pferde heran. Ich bin wahrscheinlich nicht die einfachste Schülerin, weil ich immer alles genau wissen will. Es reicht mir eben nicht mehr, wenn ein Lehrer mir sagt, was ich tun soll, sondern ich möchte genau wissen, wieso ich das tun soll. Hier ist Arlette ein sehr geduldiger Mensch und erklärt gerne. Am meisten schätze ich an Arlette ihre zurückhaltende Art. Sie ist kein angeberischer Besserwisser, sondern überzeugt durch ihre Arbeit und der Erfolg gibt ihr Recht. Und trotzdem kommt bei all der konzentrierten Arbeit der Spaß auch nicht zu kurz. Wir haben immer viel zu lachen und amüsieren uns in den Stunden köstlich.

Durch die vielen Sorgen um mein Pferd gab es schon lange keine so unbeschwerte Zeit mehr mit ihm, wie im Moment. Auch Holly scheint es so zu gehen. Seit wir mit Arlette arbeiten kommt er mir wiehernd von der Koppel entgegen. Ich genieße jeden Augenblick und danke Arlette von ganzem Herzen für die neu gewonnene Leichtigkeit!

Datum: Oktober 2013