Das Vorwärts-abwärts in der modernen Reiterei
17. Juli 2013
Quelle: Equimondi
Die Begriffe "Vorwärts-abwärts" und "Dehnungshaltung" sind aus der heutigen Reiterei nicht mehr wegzudenken. Jeder Reiter kennt sie, zahlreiche Ausbilder betonen die Wichtigkeit in der Pferdeausbildung und immer wieder erscheinen Fachpublikationen zum Thema.
Gängige Ansichten und "Vorurteile"
Doch was versteht man darunter? Stellt man diese Frage in Reiterkreisen, bekommt man oft folgende Antwort: "Durch das Vorwärts-abwärts soll die Oberlinie gedehnt und Rückenmuskulatur aufgebaut werden. Die Nase soll auf Höhe des Buggelenkes sein und die Hinterhand weit untertreten." Für mich bleiben angesichts dieser Definition jedoch einige Fragen offen:
Kann die Rückenmuskulatur durch die Arbeit vorwärts-abwärts tatsächlich aufgebaut werden und wozu möchte ich überhaupt die Rückenmuskulatur aufbauen?
Nach wie vor kursiert die Ansicht, der Pferderücken müsse gestärkt werden, um das Reitergewicht besser tragen zu können. Publikationen zum Thema Biomechanik haben dies inzwischen widerlegt. Der lange Rückenmuskel, der sich genaugenommen aus mehreren Muskeln zusammensetzt (M. longissimus dorsi, M. iliocostalis und M. spinalis), ist kein tragender Muskel, sondern ein Bewegungsmuskel, da er sich in seiner Struktur von echten Tragemuskeln unterscheidet. Letztere sind nämlich von zahlreichen Bindegewebsstrukturen durchzogen, die die nötige Stabilität geben. Ein Bewegungsmuskel hingegen ist deutlich fleischiger.
Der
Rückenmuskel ist also nicht der
Muskel, den ich primär stärken sollte, möchte ich ein
Pferd schonend reiten.
Richtig ist jedoch zweifelsohne, dass eine gute
Rückenmuskulatur ein Indikator für eine gute Tragfähigkeit des
Pferdes ist. Hört man die Aussage, das
Vorwärts-abwärts kann sowohl die
Rückenmuskulatur dehnen, als auch aufbauen, scheint das zunächst genial, aber:
Klingt es nicht paradox, dass dieselbe Übung beides gleichzeitig leisten können soll?
Dann müssten
Pferde, die primär in Dehnung geritten werden, über eine tadellose
Rückenbemuskelung verfügen. Die Realität in Reitställen zeigt ein anderes Bild, nämlich
Pferde, die über Tage, Wochen und Monate mit bester Absicht im
Vorwärts-abwärts geritten werden und immer mehr
Muskulatur abbauen, immer schlechter aussehen, immer steifer werden und im schlimmsten Fall lahm gehen.
Wann und wie sollte eine effektive Dehnung der Muskulatur erfolgen?
Die meisten Reiter fragen das
Vorwärts-abwärts relativ früh innerhalb einer Trainingseinheit ab, meist zu Beginn der Aufwärm- und Lösungsphase. Dabei wird das
Pferd über mehrere Minuten in dieser Position geritten. Oft höre ich sogar: "Gestern bin ich eine halbe Stunde lang nur
vorwärts-abwärts geritten."
Beobachte ich aber Sportler beim Training (ich spreche hier von Sportlern, die keine extremen Bewegungen ausführen wie z.B. Akrobaten etc.), werde ich feststellen, dass sie sich erst nach der Belastung dehnen. Zu Beginn wird die
Muskulatur erwärmt und durch lockere Bewegungen gelöst. Gedehnt wird nicht bei kalter
Muskulatur. Die Gefahr von
Muskelfaserrissen und Schädigungen wäre zu groß. Das liegt daran, dass sich nicht nur die
Muskulatur beim Dehnen kurzfristig verlängert, sondern auch die Gelenkspalten der angrenzenden Gelenke leicht erweitert werden. Ein Verlust an Stabilität ist die Folge. Dasselbe gilt für gedehnte Bänder. Bei dauerhafter oder immer wiederkehrender Dehnung verlieren sie an Festigkeit und können ihre Stützaufgabe nicht mehr vollständig übernehmen. Auch ist ein Dehnen vor der Belastung meist insofern nicht wirklich sinnvoll, weil der gedehnte
Muskel sich nach wenigen Minuten wieder beginnt, zusammenzuziehen. Der Dehnungseffekt würde daher nicht über eine ganze Trainingseinheit anhalten.
Für den Reiter folgt daraus, dass es sinnvoller ist, das
Vorwärts-abwärts am Ende einer Trainingseinheit abzufragen, zumindest erst dann, wenn die
Muskulatur bereits gearbeitet hat und gut durchblutet ist. Nach sehr anstrengenden Sequenzen in hoher Versammlung ist es ebenfalls angezeigt, auch zwischendurch
Vorwärts-abwärts zu reiten, um das
Pferd wieder zu entspannen. Mit anderen Worten: Sinnvoll ist ein Training, das im Wechsel zwischen Anspannung und Dehnung arbeitet.
Führt allein ein Absenken des Halses tatsächlich zu einer Aufwölbung in der Oberlinie?
Oftmals wird von Reitern argumentiert, das Reiten
vorwärts-abwärts wölbt den Rücken des
Pferdes auf. Schaut man sich ein grasendes
Pferd an, ist es in der Tat so, dass der Rücken bei abgesenktem Kopf optisch angehoben wird. Die Frage ist aber: Ist das, was sich dort abspielt, dasselbe, was ich mir auch beim gerittenen
Pferd wünsche?
Das Heben des Rückens beim grasenden
Pferd ist das Ergebnis einer mechanischen Dehnung des Nacken-Rückenbandes. Dabei sind jedoch keine
Muskeln beteiligt. Einige Stimmen bezeichnen dies gerade als positiv, da Bänder, im Gegensatz zu
Muskeln nicht ermüden können. Das stimmt zwar, aber Bänder können dafür an Elastizität verlieren und "ausleihern" (was für mich einer dauerhaften Ermüdung gleichkommt). Einen ermüdeten
Muskel kann ich durch entsprechende Erholung wieder regenerieren lassen, ein erschlafftes, überdehntes Band kaum.
Auffällig ist auch, dass sich der Bauch eines grasenden
Pferdes nicht merklich anhebt, auch wenn der Rücken optisch mehr nach oben kommt. Ich bezweifle, dass sich eine tatsächliche Dehnung im Sinne von Aufwölbung des
Rückenmuskels erreichen lässt, wenn die
Bauchmuskulatur als Antagonist der
Rückenmuskulatur unbeteiligt bleibt. Allein das Absenken des Halses scheint also noch nicht zum gewünschten Erfolg zu führen.
Wie soll es aussehen?
Doch was sind nun die Merkmale eines guten
Vorwärts-abwärts, das auch die gewünschten positiven Effekte auf das
Pferd hat?
Schaue ich mir den Körperbau eines
Pferdes an, trägt es auf den Vorderbeinen mehr Last als auf den Hinterbeinen. Es ist vorhandlastig. Daher sollte es auf keinen Fall passieren, dass das
Pferd im
Vorwärts-abwärts noch mehr auf die Vorhand geschoben wird.
Dies ist allerdings nicht ganz einfach, denn allein auf Kopf und Hals fallen rund 10 % des Körpergewichtes eines
Pferdes. Das ist ein gewaltiger Hebel, wenn sich die Halsposition senkt.
Um das Fallen auf die Vorhand zu verhindern, benötigt das
Pferd Körperspannung, vor allem in der
Bauchmuskulatur. Dies führt dazu, dass Rumpf und Widerrist sich anheben und nach oben wölben. Die Hinterhand muss dabei aktiv sein, was nicht zwingend einen weiten Vorgriff bedeutet. Oft kann man hören, wie sich
Pferde mit den Hintereisen in die Vordereisen treten - es klackert beim Laufen. Das ist keineswegs positiv zu beurteilen, weil das
Pferd so weit untertritt, sondern ein Zeichen für starke Vorhandlast. Das Klackern entsteht, weil die Vorderbeine des
Pferdes zu langsam vom Boden wegkommen, um den Hinterbeinen Platz zu machen. Wünschenswert ist vielmehr Aktivität im Sinne von beginnender Hankenbeugung.
Ganz wichtig ist, dass der
Pferderücken dabei in seiner ganzen Länge nach oben schwingt. Meist freut sich der Reiter bereits, wenn der Rücken überhaupt schwingt und verkennt dabei, dass der Schwung nach unten geht, wodurch der Bewegungsapparat des
Pferdes enorm belastet wird.
Ein einheitliches Maß für die richtige Kopf-Hals-Höhe gibt es hingegen nicht. Vielmehr hängt dies vom Körperbau und auch der Rasse eines
Pferdes ab und ist daher von
Pferd zu
Pferd unterschiedlich. Den massiven Hals eines iberischen
Pferdes wird man zB nicht in eine so tiefe Dehnung lassen können ohne eine vermehrte Belastung der Vorhand in Kauf nehmen zu müssen, wie den eines Warmblutes im Rechteckstyp mit schlankem Hals.
Zusammengefasst sollte ein Vorwärts-abwärts kraftvoll, dynamisch und schwungvoll aussehen und darf nicht "gelaufen" und flach sein.
Das alles zeigt, dass ein korrektes
Vorwärts-abwärts keinesfalls eine so entspannende, kraftschonende Übung fürs
Pferd ist, wie es oft dargestellt wird, sondern eine körperliche Höchstleistung, die das
Pferd nur über einen relativ kurzen Zeitraum halten kann.
In meiner Arbeit als Schiefen-Therapeutin ist dieses korrekte
Vorwärts-abwärts das Ziel, welches ich erreichen möchte und gleichzeitig Merkmal eines
Pferdes, welches in der Lage ist, das Reitergewicht schadlos zu tragen.
Arlette Magiera