Wenn das Gleichmaß fehlt - Mehr Taktgefühl



Quelle: „Mein Pferd“, Ausgabe 02/2019

Manche Pferde laufen so als würden sie einem inneren Taktmesser folgen. Andere wiederum schaffen es nicht, ihren Rhythmus konstant zu halten und zeigen Taktstörungen. Woran das liegt und was Sie tun können, um zum Gleichmaß zurückzufinden, erklärt unsere Expertin Arlette Magiera

Text: Inga Dora Meyer

 

„Der Takt steht in der Ausbildungsskala der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) an erster Stelle, woraus sich dessen große Bedeutung für das Training ergibt. Er ist Grundvoraussetzung für die Losgelassenheit des Pferdes während der Arbeit. Gleichzeitig geben Taktstörungen und Taktunreinheiten deutliche Hinweise auf bestehende mentale oder auch physische Spannungen beim Pferd.“ Das sagt Arlette Magiera, Schiefen-Therapeutin ARR (anatomisch richtiges Reiten) nach Klaus Schöneich.

 

Maß aller Dinge

Takt bezeichnet ein räumliches und zeitliches Gleichmaß. „Jeder Schritt, Tritt und Sprung soll gleichlang und der Rhythmus in jeder Gangart konstant sein. Takt heißt aber auch, dass das korrekte Bewegungsmuster der Grundgangarten gegeben sein muss“, so die Expertin. Das gilt bei Tempoveränderungen, Richtungswechseln und in allen Lektionen. Dabei hat jeder Vierbeiner seinen eignen Rhythmus.

 

Am störanfälligsten ist der Schritt. „In dieser Gangart wirken sich reiterliche Defizite, Fehler in der Ausbildung oder akut vorliegende Spannungen am ehesten negativ aus“, so Magiera. Das liege daran, dass die Pferdewirbelsäule im Schritt die größte dreidimensionale Mobilität im Bereich der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule aufweise und daher das Risiko von negativen Einwirkungen am höchsten ist. „Der Rumpf rotiert bei jedem Schritt auf und ab, bewegt sich nach rechts und links ähnlich einer Schlange, und die Oberlinie dehnt und verkürzt sich. Letzteres ist durch die deutliche Nickbewegung des Pferdes bei jedem Vorfußen eines Vorderbeins sehr gut erkennbar“, erklärt die Ausbilderin.

Stört, erschwert oder unterbindet der Reiter die freie dreidimensionale Bewegung der Wirbelsäule, kann das Pferd seine natürliche Nickbewegung nicht mehr ausführen und es kommt leicht zu Taktstörungen. „Das Pferd hält seinen Hals mechanisch fest und bewegt nur noch seine Beine, ohne den gesamten Rumpf in die Bewegung zu integrieren. Der Rücken kann nicht mehr locker schwingen“, erklärt die Schiefen-Therapeutin. Das ist vor allem der Fall, wenn das Zügelmaß falsch gewählt wurde, der Reiter versucht, das Pferd über die Einwirkungen mit der Hand zu versammeln oder mit der Absicht, die Hände ruhig zu halten, steif wird. Auch eine übertriebene Stellung im Genick und das wechselseitige Rechts- und Linksstellen des Pferdes („Riegeln“) können Taktfehler provozieren.

Im Schritt lässt sich aufgrund der langsamen Geschwindigkeit am einfachsten erkennen, ob die Gangart taktrein ist. Sehen Sie eine schreitende Bewegung ohne Schwebephase im Viertakt und bewegt sich zuerst das Hinterbein einer Seite, dann das gleichseitige Vorderbein, gefolgt vom Hinterbein der anderen Seite und zum Schluss dem gleichseitigen Vorderbein? Dann ist alles in Ordnung, denn die Beine derselben Seite bewegen sich nacheinander und für einen kurzen Augenblick ist ein mehr oder weniger geschlossenes „V“ zu sehen sein, wenn das Hinterbein nach vorne greift und aufsetzt und das gleichseitige Vorderbein abhebt. „Im Sattel ist dieses gleichmäßige Schreiten für den Reiter gut zu fühlen. Sind Sie sich unsicher, überprüfen Sie den Viertakt auf festem Boden. Dort hören Sie ihn deutlich“, rät Magiera.



Bei einer Passtendenz wäre das „V“ im Schritt nicht mehr zu erkennen.



Eine korrekte Fußfolge (hier das Auffußen des diagonalen Beinpaares) lässt sich meist nur anhand von Fotos erkennen.



Vorsicht Passtendenz
Hat der Schritt die Tendenz, dass die gleichseitigen Beine ihre Bewegung angleichen, spricht man von passartigem oder passverschobenem Schritt. Bewegen sich die gleichseitigen Beine völlig synchron, geht das Pferd Pass. „Dann hat man das Gefühl, das Pferd schwankt, ähnlich einem Kamel, und die Bewegung verläuft nicht mehr durch den gesamten Rücken“, so die Expertin. Das Problem? Taktstörungen im Schritt sind, wenn sie einmal gefestigt sind, nur sehr schwer und langwierig wieder abzustellen. Daher rät die Ausbilderin, den Schritt je nach Anforderung der Situation und das Tempo dem jeweiligen Pferd individuell anzupassen. „Erst, wenn im Wohlfühltempo ein guter Schritttakt erreicht ist, kann man versuchen, die Schrittlänge zu variieren, die Schritte also zu verkürzen oder zu verlängern. Gehen dabei die schreitende Bewegung und der klare Viertakt verloren, passt das Tempo nicht mehr zur momentanen Fähigkeit des Pferdes“, gibt sie zu bedenken.



Störanfälliger Schritt: In dieser Gangart entstehen die meisten Störungen.



Sind Passtendenzen zu erkennen, sollte an der physischen und psychischen Losgelassenheit gearbeitet werden. „Ich empfehle hierfür, das Zügelmaß im Schritt deutlich zu verlängern, so dass die Nickbewegung des Kopfes nicht gestört wird. Auch während einer Arbeitseinheit sollte immer wieder eine Pause am langen Zügel erfolgen“, sagt die Expertin. Lektionen wie Schenkelweichen, Viereck und Zirkel verkleinern und vergrößern sowie Schulterherein sind ebenso wirksam.


Im Trab bewegen sich die diagonalen Beinpaare synchron mit einer kurzen Schwebephase dazwischen. Diese Gangart ist also ein Zweitakt. Die freie Schwebe entsteht dadurch, dass das abfußende Beinpaar den Boden verlässt, bevor das vorschwingende Beinpaar aufsetzt.


Der Trab ist taktrein, wenn der Unterarm und das diagonales Röhrbein parallel geführt werden.



„Taktunrein ist der Trab, wenn die Bewegung der diagonalen Beinpaare nicht mehr synchron ist, also das Vorderbein beispielsweise mehr angehoben und gestreckt wird als das diagonale Hinterbein oder das Vorderbein weiter nach vorne greift als das entsprechende Hinterbein. Ebenso fehlerhaft ist es, wenn das diagonale Vorder- und Hinterbein nicht zeitgleich ab- oder auffußen, das heißt ein Bein hat Bodenkontakt, während das andere noch oder schon wieder in der Luft ist“, erläutert die Ausbilderin.

Eine Taktstörung im Trab ist wegen der höheren Geschwindigkeit mit bloßem Auge nur sehr schwer zu erkennen. Leichte Taktfehler sind meist erst auf Standbildern zu sehen. Um ernsthaft beurteilen zu können, ob es sich um eine Momentaufnahme, ein dauerhaftes Problem oder gar falsches Training handelt, lohnt es sich Fotos zu machen und mehrere Sequenzen zu betrachten. Lediglich in Tempoverstärkungen sieht man Taktfehler besser. „Erhöht sich hier die Aktion der Vorderbeine, nähert sich das ausgestreckte Vorderbein im Extremfall der Waagerechten an, die Hinterhand zeigt jedoch kaum Raumgewinn und die Hinterhufe fußen nicht deutlich über die Spuren der Vorderhufe“, erklärt sie.


Gute Verstärkung: Unterarm und diagonales Röhrbein bewegen sich parallel.



Schlechte Verstärkung: Die Parallelität geht verloren.



Deutlich seltener kann man im Trab eine Taktverschiebung in der Hinterhand beobachten, bei der das Hinterbein vor dem diagonalen Vorderbein auf dem Boden auffußt. Grund hierfür sei meist eine starke Verspannung in der Lendenpartie, kurz hinter der Sattellage. Taktstörungen, die nur für einzelne Tritte anhalten, sind meist ein Zeichen für mangelndes Gleichgewicht. Häufig kommt dies in Wendungen vor.

Das taktrein trabende Pferd läuft übrigens federnd, locker und lässt sich gut sitzen. Hat man aber den Eindruck, der Rücken ist statisch oder das Pferd unbequem zu sitzen, liegt wahrscheinlich eine Taktverschiebung vor. Dann sollten Sie sich fragen, ob Sie das richtige Grundtempo gewählt haben. „Phlegmatische Pferde sollten eher frischer, hektische eher ruhiger getrabt werden. Auch sollte man versuchen, ob eine Veränderung in der Höhe der Kopfposition eine Verbesserung bringt. Gerade sehr vorhandlastig gebaute Pferde neigen bei zu tief getragenem Hals zu Taktfehlern“, weiß Magiera.


Eine falsche Kopf-Hals-Position kann Taktfehler provozieren (s. hinten links).



Praktische Übungen

Übungen, um die Lastaufnahme der Hinterhand zu erhöhen, sind ebenfalls hilfreich. Dazu zählen häufige Tempounterschiede in derselben Gangart. „Das Tempo darf dabei aber nur soweit verändert werden, wie das Pferd in seinem Körper weich bleibt, sonst erreicht man das Gegenteil“, warnt die Expertin. Ebenso bewährt hat sich folgende Übung: Reiten Sie Ihr Pferd auf dem Zirkel im Trab mehrmals erst ein paar Meter in Innenstellung und stellen es dann leicht nach außen. Dabei führen Sie die Pferdeschulter zwischen den Zügeln etwas nach innen, während die Hinterhand auf der vorherigen Linie bleibt. Wenn das Pferd hier weicher wird, stellen Sie es wieder gerade und legen Sie ein paar Meter zu oder galoppieren an.

Häufige Positions- und Richtungswechsel sind nicht minder wirksam. „Man reitet beispielsweise ganze Bahn und lässt das Pferd zu Beginn einer langen Seite in Außenstellung dem äußeren Schenkel an der Bande weichen. Mitte der langen Seite wird es umgestellt, eine halbe Volte in die Bahn geritten, auf der Mittellinie kurz geraderichtet, dann folgt eine halbe Volte in die andere Richtung. Zurück an der Bande geht es im Schenkelweichen bis zur nächsten kurzen Seite“, so Magieras Praxistipp.

Der Galopp wird in Links- und Rechtsgalopp unterschieden, je nachdem welches gleichseitige Beinpaar die weitere Bewegung nach vorne ausführt. Zuerst bewegt sich ein Hinterbein, dann das diagonale Beinpaar, zum Schluss das verbleibende Vorderbein. Dann folgt die Schwebephase. „Ist der Galopp korrekt, hört man den Dreitakt eindeutig. Reiter spüren und Zuschauer erkennen eine deutliche Bergauftendenz und klar voneinander abgegrenzte Sprünge. Ist der Galopp eher gelaufen, flach und wenig dynamisch, verschiebt sich der Dreitakt in Richtung Viertakt“, erläutert die Schiefen-Therapeutin. Das ist der Fall, wenn sich das diagonal fußende Beinpaar nicht synchron bewegt und zeitgleich auf dem Boden auffußt, sondern erst das Vorderbein und danach das Hinterbein. Dazu kann es durch einen eiligen oder schwerfälligen, verlangsamten Ablauf, durch Verspannungen des Pferderückens oder durch Anlehnungs- und Gleichgewichtsprobleme kommen.

„Für die Qualität des Galopps ist entscheidend, wie sorgfältig er vorbereitet wurde. Je besser man das äußere Hinterbein vor dem Angaloppieren beugen kann, umso besser werden die ersten Galoppsprünge“, so Magiera. Sie empfiehlt, das Pferd an der kurzen Seite nach außen zu stellen und die Hinterhand nach innen weichen zu lassen und in der zweiten Ecke das Pferd umzustellen und anzugaloppieren. Alternativ können Sie auch auf dem Zirkel rechte Hand gehen, dann bei X eine Volte nach links einbauen und danach im Rechtsgalopp angaloppieren. Wichtig hierbei ist, das Pferd vor dem Handwechsel bei X kurz ganz gerade zu machen. Fortgeschrittenen rät sie, das Angaloppieren einmal aus dem Travers im Trab oder, um es noch effektiver zu machen, aus dem Schritt zu probieren.


Generell gilt: Um beim Reiten nicht noch mehr Gewicht in Richtung Vorhand zu verschieben und die beschriebenen Taktfehler zu provozieren, ist immer ein zum Pferd passendes Tempo bei angemessener Kopf-Hals-Position zu wählen. „Ein effektives Training sollte zum Ziel haben, die Lastaufnahme der Hinterhand zu verstärken, um das Pferd zu befähigen, seine Vorhand mehr anzuheben und zu entlasten. Je mehr sich die Tragkraft der Hinterhand verbessert, umso eher werden Taktfehler verschwinden“, ist sich Magiera sicher.


Dennoch gibt es Vierbeiner, die aufgrund ihrer Rasse bzw. des Zuchtziels eher zu Taktverschiebungen neigen als andere. Dazu gehören Pferde, die vorhandlastig sind (u.a. Kutsch- und Zugpferde) oder über viel Schub verfügen, zählt die Expertin auf. Ähnliches gilt für Pferde mit kompaktem Exterieur und massigen Hälsen (z.B. Iberer, Norweger) oder überbaute Pferde. „Bei eher phlegmatischen Pferden hat man es oft schwer, ihnen im Trab und Galopp die nötige Energie abzugewinnen, um keine Taktstörung entstehen zu lassen. Für hektische, nervöse Pferde hingegen ist das Risiko für Fehlern im Schritt am höchsten. Da sich hier Verspannungen am deutlichsten auf den Takt auswirken“, so die Ausbilderin abschließend.


Taktstörung: Wo liegt die Ursache?
• Falsch gewähltes Tempo (zu eilig, zu langsam)
• Versuch, das Pferd zu stark zu versammeln
• Ungünstige oder erzwungene Kopf-Hals-Position
• Zu starke Handeinwirkung, zu kurzes Zügelmaß
• Falsch verstandene Vorwärts-Abwärts-Haltung
• Mangelnde physische oder psychische Losgelassenheit
• Verspannter Pferderücken
• Ausgeprägte Schiefe
• Gleichgewichtsprobleme
• Starke Vorhandlastigkeit
• Falsche Ausrüstung (z.B. unpassender Sattel)

Sonderfall „Kurz-Lang-Treten“

Im Schritt und Trab kann es vorkommen, dass ein Vorder- oder Hinterbein weiter vorfußt als das andere. „Hierfür ist häufig eine zu starke Vorderhandlastigkeit in Kombination mit einer ausgeprägten Händigkeit die Ursache, bei der das Pferd sein Gewicht vermehrt auf einem Vorderbein abstützt“, erläutert Arlette Magiera. Es versucht, dieses Bein so lange wie möglich am Boden zu belassen und so schnell wie möglich wieder aufzusetzen.

Die Folge? „Der Bewegungsbogen dieses Beins verkürzt sich und wird in Form eines Kurztretens sichtbar. Tritt hingegen das Hinterbein der händigen Seite kürzer, geschieht das, weil das gleichseitige Vorderbein zu lang am Boden bleibt und dem Hinterbein den Weg nach vorne „versperrt“. Das Hinterbein kann dann nur ausweichen oder verkürzt treten“, so die Expertin weiter.

Ist dieses Gangbild sehr ausgeprägt, kann der Eindruck entstehen, das Pferd geht lahm. „Hinter einer echten Lahmheit steckt aber immer eine pathologische Ursache. Das Kurz-lang-treten hingegen ist ein Hinweis auf ein Trainingsdefizit“, weiß Magiera.