An der Hand zur Symmetrie

Von Arlette Magiera

Quelle: Bookazin "Feine Hilfen" Ausgabe 29

In vielen Reitweisen ist die Arbeit des Pferdes an der Hand fester Bestandteil seiner Ausbildung, sei es, um ihm bestimmte Bewegungsabläufe zunächst ohne Reitergewicht zu vermitteln oder um die tägliche Arbeit abwechslungsreich zu gestalten. Doch sie kann darüber hinaus auch einen wichtigen Beitrag zur Geraderichtung und Gymnastizierung des Pferdes leisten.

Wie sinnvoll strukturierte Handarbeit einem Pferd zu mehr Symmetrie verhilft und was es dabei zu beachten gilt, um die Schiefe des Pferdes effektiv zu verbessern, erklärt Arlette Magiera.

Jeder Reiter kennt das Phänomen: Das Pferd läuft nicht auf beiden Händen gleich: Auf einer Hand drängelt es in die Bahn hinein, auf der anderen Hand driftet es nach außen. Grund für dieses unterschiedliche Verhalten ist die natürliche Schiefe des Pferdes.


Sie entsteht, weil das Pferd sein Körpergewicht nicht auf allen vier Beinen gleichmäßig verteilt, sondern von Natur aus seine Vorhand mehr belastet als die Hinterhand. Dabei präferiert es insbesondere ein Vorderbein, das sogenannte händige Vorderbein, stützt sich darauf vermehrt ab und macht als Folge davon seine andere Körperseite hohl.


Über die Gründe, warum es das genau tut, gibt es unterschiedliche Ansichten. Einige argumentieren mit der Lage des ungeborenen Fohlens im Mutterleib, andere sprechen von Vererbung. Aber auch Faktoren wie Haltungsform und tägliches Handling beeinflussen die Schiefe.  

Das Pferd versucht das händige Vorderbein möglichst lange am Boden zu halten und es in Bewegung schnell wieder abzusetzen. Den Gesetzen der Physik folgend verschiebt sich der Pferdekörper aufgrund dessen bei jedem Schritt in Richtung dieses Beins. Befindet es sich außen an der Bande, drängelt das Pferd dichter an die Bande heran. Ist es innen, fällt das Pferd Richtung Bahnmitte.


Diese Gewichtsverschiebungen treten nicht nur unterm Sattel oder an der Longe auf. Auch bei der Handarbeit hat die natürliche Schiefe in jeder noch so simpel erscheinenden Übung Einfluss auf die Bewegungsabläufe des Pferdes.


Daher sollte man auch am Boden darauf achten, Pferde geraderichtend zu trainieren.


Das beginnt schon damit, dass das Pferd lernt, sich von beiden Seiten führen zu lassen. Gerade bei älteren Pferden bereitet das oftmals Schwierigkeiten, weil sie den Menschen bisher nur an ihrer linken Seite kennengelernt haben. Und auch der Mensch ist das Führen von rechts vielleicht nicht gewohnt, weil ihm jahrelang eingebläut wurde, immer links vom Pferd zu gehen. Hier ist es für beide, Pferd und Mensch, wichtig, erst einmal eine gewisse Routine im Handling auf beiden Seiten zu entwickeln. Akzeptiert das Pferd den Menschen auf beiden Seiten, kann man mit dem eigentlichen geraderichtenden Training beginnen.


Welche Führposition man am sinnvollsten für die einzelnen Übungen auswählt – ob nun von innen, von vorne oder von außen geführt - , ob man mit einem oder zwei Zügeln, mit Trense oder mit Kappzaum arbeitet, sollte im Einzelfall abgestimmt auf das individuelle Pferd entschieden werden. Die im Folgenden beschriebenen Grundprinzipien gelten für alle Arbeitsvarianten gleichermaßen.

Im Grunde geht es bei der Gymnastizierung darum zu erkennen, welche Reaktion das Pferd auf eine Anforderung hin von sich aus anbietet und diese dann umzukehren beziehungsweise zu reduzieren.

 

 

Werkzeuge zum Geraderichten


Das Pferd wird von sich aus immer versuchen, in seiner Schiefe zu verharren und Bewegungsabläufe so auszuführen, dass sie ihm möglichst leicht fallen. Dieses Verhalten ist für das Pferd sehr effizient und ermöglicht ihm im Notfall schnelle Reaktionen.


Ähnlich ist es auch für den Menschen. Ein Rechtshänder wird möglichst viele Handgriffe gewohntermaßen mit der rechten Hand ausführen. Das fällt ihm leicht und Bewegungen gehen wie von allein. Jedoch hat dies eben auch eine gewisse Einseitigkeit zur Folge. Die Feinmotorik und Kraft der linken Hand ist deutlich schlechter entwickelt.


Genau diese Einseitigkeit beim Pferd soll durch gymnastizierende Arbeit verbessert werden. Wie beim Reiten auch, stehen uns in der Handarbeit für ein auf die Geraderichtung ausgerichtetes sinnvolles Training drei elementare Werkzeuge zur Verfügung:

 

1. Hufschlagfiguren

2. Hilfengebung

3. Lektionen

 

Mit diesen kann man nicht nur ermitteln, welche die hohle und die steife Seite des Pferdes ist. Man kann sie auch dazu nutzen, das Pferd geradezurichten.

 

 

Auf der hohlen Seite sollte man den Hals nur wenig biegen, um Kontrolle über die äußere Schulter zu behalten.



Hufschlagfiguren


Am Anfang bewegt man sich mit dem Pferd auf einfachen Hufschlagfiguren und beobachtet, wie es sich auf beiden Händen verhält. Dabei kann man feststellen, dass Wendungen, Zirkel und Volten auf einer Hand eher groß ausfallen und auf der anderen Hand eng. Auf einer Hand fällt es leicht, Ecken auszugehen, auf der anderen Hand versucht das Pferd abzukürzen. Auch die Bögen einer Schlangenlinie sind in beide Richtungen nicht gleich groß.

 

Hinweise auf die Schiefe bei Hufschlagfiguren:
Hohle Seite: große Wendungen/Kreise/Bögen – tiefe Ecken – gute Biegung
Händige Seite: enge Wendungen/Kreise/Bögen – flache Ecken – schlechte Biegung

 

Ziel ist es nun, die Hufschlagfiguren möglichst korrekt und symmetrisch auszuführen, also beispielsweise Zirkel und Volten kreisrund, aber auch in beide Richtungen gleich groß. Die eine Hälfte einer Schlangenlinie soll genauso aussehen, wie die andere.

 

Bemerkt man beispielsweise Tendenzen des Pferdes, Kreisbögen auf beiden Händen unterschiedlich groß anzulegen, kann man die erwartete Reaktion des Pferdes schon im Vorfeld mit einkalkulieren und beispielsweise beim Zirkel auf der hohlen Seite leicht an Zirkel verkleinern denken und auf der händigen Seite an Zirkel vergrößern.

 

Für die erfolgreiche Gymnastizierung ist es sehr wichtig, sich solche unscheinbar wirkenden Details bewusst zu machen. Denn nur wenn man Probleme erkennt, hat man die Möglichkeit, sie zu beheben.


Das erfordert viel Umsicht und Konzentration vom Menschen und ist deutlich leichter gesagt als getan. Die Bahnpunkte sind hierbei eine wichtige Orientierungshilfe. Auch Pylonen zur Markierung der Zirkel- oder Voltenmitte oder als Gasse leisten gute Dienste.

 

 

Hilfengebung

 

Auch die Arbeit auf der ganzen Bahn ist anspruchsvoll und geht weit über simples Außen-herum-laufen hinaus.


Hierbei kann man sich gut auf die Hilfengebung konzentrieren, die nötig ist, um ein Pferd geradezurichten.

 

Diese unterscheidet sich, je nachdem auf welcher Hand man sich befindet, da das Pferd auch hier unterschiedlich reagiert.


Ist man auf der Hand der hohlen Seite, versucht das Pferd, seine Schulter der Bande anzunähern und vielleicht sogar die Kruppe ins Bahninnere zu schieben. Dabei macht es sich innen hohl und überbiegt den Hals.


Auf der händige Seite hingegen wird es mehr Gewicht ins innere Vorderbein verlagern, die Kruppe eher nach außen verschieben und den Hals ab der Schulter nach innen abknicken und anspannen.

 

Hinweise auf die Schiefe auf der ganzen Bahn:
Hohle Seite: Schulter nach außen – Kruppe nach innen – zuviel Biegung
Händige Seite: innere Schulter überlastet – Kruppe weicht nach außen aus – Hals ist abgeknickt

 

Um der Schiefe entgegenzuwirken, sollte die Biegung auf der hohlen Seite deutlich reduziert und die Vorhand etwas von der Bande weg geführt werden. Auf der händigen Seite ist das Ziel, die Schulter der Bande anzunähern und eine korrekte Biegung durch den gesamten Hals zu erreichen.


Diese Prinzipien der Hilfengebung benötigt man natürlich auch bei der Ausführung der Hufschlagfiguren. Jedoch empfiehlt es sich gerade am Anfang, beides separat voneinander zu üben, also bei den Hufschlagfiguren zunächst einmal Wert auf die Symmetrie der Lauflinie zu legen. Dabei kann man oftmals auch die eigenen Tendenzen erkennen, Rechtswendungen unbewusst anders zu laufen als Linkswendungen.


Losgelöst davon sollte man die Hilfengebung auf der ganzen Bahn trainieren und sein Auge für die Ausweichbewegungen des Pferdes schulen.


Erst wenn sich eine gewisse Routine für gleichmäßige Linien und Reaktionen des Pferdes entwickelt hat, sollte man die Hilfengebung beim Ausführen der Hufschlagfiguren verstärkt einfließen lassen.


So vermeidet man, sich selbst mit zu vielen Punkten auf einmal zu überfordern und gewinnt schnell mehr Sicherheit.

 


Lektionen


Im nächsten Schritt kann man auch mit Hilfe von Lektionen an der Geraderichtung arbeiten.


Zum Einstieg eignet sich das Schenkelweichen als lösende Übung. Hierbei kreuzt das leicht gegen die Bewegungsrichtung gestellte Pferd sowohl mit den Vorder- als auch den Hinterbeinen und mobilisiert dadurch seine beiden Körperenden. Von der Mittellinie zur Bande ausgeführt kann man gut kontrollieren, ob das Pferd versucht auszuweichen.


Korrekt ausgeführt bleibt der Pferdekörper auf der gesamten Strecke parallel zur langen Seite, erreicht also die Bande zeitgleich mit der Vor- und der Hinterhand.


Um beide Seiten symmetrisch trainieren zu können, ist es wichtig auf beiden Händen im gleichen Winkel zu arbeitet und beispielsweise die Mitte der langen Seite als Ziel anzuvisieren, an dem das Pferd wieder an der Bande ankommen soll. Geht die Orientierung verloren, wird das Pferd viel steiler Richtung Bande gehen, wenn es sich in Richtung seiner händigen Seite bewegt und versuchen, mit der Schulter zu führen.  Anders beim Weichen in Richtung der hohlen Seite. Hier kann es schwieriger sein, die gleiche Seitwärtsbewegung zu erreichen und das Pferd möchte eher mit der Hinterhand vorausgehen.

 

Hinweise auf die Schiefe im Schenkelweichen:
Zur hohlen Seite: schwieriges Weichen/flacher Winkel – Hinterhand voraus
Zur händigen Seite: leichtes Weichen/steiler Winkel – Schulter voraus

 

Auch bei den echten Seitengängen, bei denen das Pferd im Unterschied zum Schenkelweichen nicht nur gestellt, sondern auch gebogen ist, wirkt sich die natürliche Schiefe des Pferdes aus.

 

Im Schulter-herein soll das nach innen gebogene Pferd seine Vorhand ins Bahninnere führen, während die Hinterhand auf dem ersten Hufschlag bleibt. Das innere Hinterbein soll vermehrt Last aufnehmen.


Auf der hohlen Seite wird das Pferd versuchen, die Last im äußeren Vorderbein zu behalten und nur den Hals nach innen zu biegen statt die Schulter mitzunehmen. Hier ist es sinnvoll, die Halsbiegung gering zu halten, um mehr Kontrolle über die äußere Schulter zu haben.


Befindet sich das Pferd auf der händigen Seite, versucht es, das innere Vorderbein zu überlasten, indem es sich auf die innere Schulter stützt und die Hinterhand nach außen verschiebt. Es geht dann eher Kruppe-heraus anstatt Schulter-herein. Als Korrektur sollte die Schulter nur dezent nach innen geführt werden und das Augenmerkt eher auf einer guten Halsbiegung liegen.

 

Hinweise auf die Schiefe im Schulterherein:
Hohle Seite: viel Halsbiegung – Schulter zu wenig in der Bahn
Händige Seite: geringe Halsbiegung – Schulter zu stark in der Bahn

 

Beim Travers soll die Vorhand des nach innen gebogenen Pferdes auf dem Hufschlag bleiben und die Hinterhand ins Bahninnere treten. Die Last soll sich ins äußere Hinterbein verlagern.


Das Pferd wird auf der hohlen Seite versuchen, sich zu überbiegen, um dadurch mehr Gewicht in die äußere Schulter zu verschieben. Die Kruppe kommt dabei teilweise zu stark herein und die Schulter drängelt zur Bande. Daher darf nur wenig Biegung und wenig Kruppenabstellung gefordert werden, um nicht die Kontrolle über die äußere Schulter zu verlieren.


Im Gegensatz dazu ist es auf der händigen Seite für das Pferd oft viel schwerer, die Kruppe nach innen zu bewegen. Hier ist es sinnvoll, eine deutliche Biegung zu verlangen und gleichzeitig die Vorhand etwas Richtung Bande zu verschieben.

 

Hinweise auf die Schiefe im Travers:
Hohle Seite: viel Halsbiegung – viel Kruppenabstellung
Händige Seite: geringe Halsbiegung – kaum Kruppenabstellung

 

In der Traversale bewegt sich das Pferd vorwärts-seitwärts auf einer diagonalen Linie. Es ist in Bewegungsrichtung gebogen und die Vorhand soll dabei leicht voraus gehen. Hinter- und Vorderbeine kreuzen gleichweit zur Seite.


Auf der hohlen Seite kann es passieren, dass statt der Vorhand die Hinterhand vorausschiebt und im Verhältnis zur Vorhand zu stark kreuzt. Hier empfiehlt sich, zur Einleitung der Traversale wenige Tritte Schulter-herein zu verlangen. Bei der Traversale auf der händigen Seite führt die Vorhand oft zu stark und behindert dadurch das Kreuzen der Hinterhand. Wenige Tritte Travers als Einleitung wirken diesem Problem effektiv entgegen.   

 

Hinweise auf die Schiefe in der Traversale:
Hohle Seite: Hinterhand führt – Vorderbeine kreuzen zu wenig
Händige Seite: Vorhand führt zu stark – Hinterbeine kreuzen zu wenig

 

Ein Pferd durch die Arbeit an der Hand gerade zu richten ist ein sehr effektives Mittel. Man hat eine ausgezeichnete optische Kontrolle darüber, wie und wohin die jeweiligen Pferdebeine platziert werden, wie das Gewicht des Pferdes sich verteilt und wie eine Übung ausgeführt wird. Im Sattel hat man oft nur sein Gefühl und das kann leicht täuschen. Daher kann ich diese Form des Pferdetrainings jedem nur ans Herz legen.